Es gibt (kein) Vitamin D in der Muttermilch?

 

Der Autor schreibt diesen Artikel aus gegebenem Anlass: Vor zwei Monaten hat seine Frau einen Jungen zur Welt gebracht, was viel Freude, aber auch Vorsorgeuntersuchungen bei einem Kinderarzt mit sich brachte.

Direkt beim ersten Treffen gab es einen Konflikt zwischen der Schulmedizin und der anthroposophischen Sichtweise. Als der Arzt unserem Kind Vitamin-D-Tropfen geben wollte, habe ich mit der Begründung abgelehnt, dass das Kind gestillt wird und die Mutter genügend Vitamin D zuführt. Geerntet habe ich einen abfälligen Blick über die Schulter und den Kommentar: „In der Muttermilch gibt es kein Vitamin D! Das wisse man schon lange und wie ich überhaupt auf die Idee käme, dass es anders sein könnte“. Der Unterton war unüberhörbar. Ich bzw. wir als Rabeneltern, fehlgeleitet durch Internet-Halbwahrheiten, seien eine Gefahr für das Kind und man solle solche Fragen doch lieber den Fachleuten überlassen. Meine Frau schaute mich mit großen Augen voller Entsetzen an, begleitet von der stummen Frage, ob ich mich vielleicht irren könnte und man doch auf den Doktor hören sollte.

Mehr um meine Frau zu beruhigen als den Arzt zu überzeugen, habe ich angefangen zu berichten, dass ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Uniklinik arbeite und mich bereits seit Jahren mit dem Thema Vitamin D beschäftige. Spontan fielen mir Arbeiten von B.W. Hollis und C.L. Wagner ein, die eindeutige experimentelle Beweise aus mehreren Untersuchungen vorgelegt haben, dass die Muttermilch ausreichend Vitamin D enthält, vorausgesetzt die Mutter ist selbst gut versorgt. Dass das Stillen eines Kindes seit Jahrmillionen der natürliche Weg ist, den Nachwuchs groß zu ziehen und dass auf diesem Wege logischerweise eine optimale Versorgung sichergestellt sei, ließ ich unerwähnt. Wäre es anders gäbe es keine Säugetiere mehr auf unserem Planeten.

Nur leider: Geholfen haben meine Ausführungen letztlich nichts – der Mediziner erwies sich als resistent gegen meine Argumente. Ich musste noch mehrmals entschieden die zusätzliche Gabe von Vitamin D an mein Kind verweigern. Zurück blieb eine zutiefst verwirrte Mutter, der ich versprechen musste, dass ich mich nochmals intensiv mit den wissenschaftlichen Studien über Vitamin D in der Muttermilch beschäftigen werde.

Also nutze ich die Gelegenheit und schreibe die Ergebnisse meiner Recherchen für alle interessierten Leser nieder. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts daran auszusetzen, dass man Säuglingen Vitamin-D-Tropfen verabreicht. Höchstens, dass man damit aus einem nicht ersichtlichen Grund plötzlich aufhört, sobald das Kind das zweite Lebensjahr erreicht, als ob sich dadurch eine bis dato nicht existente Quelle für Vitamin D für das Kind auftun würde. Verwendet die Mutter zu wenig Vitamin D - und das sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen weniger als etwa 6.400 IE täglich - muss dem Kleinkind dringend Vitamin D zugeführt werden (Quelle: Bruce Hollis, pubmed.gov: vitamin d lactation).

Es geht mir mehr um die Halbwahrheiten, die leider immer wieder von Ärzten verbreitet werden, obwohl sie es besser wissen müssten. Aber es ist wohl einfacher die „allgemeingültige“ Meinung nachzusprechen, statt sich zu informieren. Andererseits zwingt das System die Ärzte, sich an die behördlich diktierten Richtlinien zu halten. Und diese bestimmen eben, dass es in der Muttermilch kein Vitamin D gibt. Es wäre sicherlich zum Wohle von Mutter, Kind & Gesundheitskosten sinnvoller, die stillende Mutter auf ihre notwendige Tagesdosis Vitamin D hin zu weisen. Der oben erwähnte Kinderarzt bekam von mir übrigens Ausdrücke zweier wissenschaftlicher Arbeiten, publiziert in PubMed/NCBI, DER Datenbank für englischsprachige, textbasierte medizinische Artikel. Er hat abgelehnt, die dort vorgestellten Ergebnisse anzuerkennen, weil es seiner Meinung nach nicht seriös genug sei (sic!). Um publiziert und in die PubMed-Datenbank aufgenommen zu werden, muss jede Arbeit von mindesten zwei Gutachtern, die Spezialisten auf demselben Themengebiet sind, als wissenschaftlich richtig und würdig testiert werden. Das Labor von B.W. Hollis erforscht das Thema seit mehr als 30 Jahren und gehörte zu den ersten, die den Gehalt von Vitamin D in der Mutter quantifiziert haben. Das war wohl dem Kinderarzt nicht gut genug. Anderer Hinderungsgrund für eigene Recherchen in den frei zugänglichen wissenschaftlichen Datenbanken sind die leider zumeist unzureichenden Kenntnisse der englischen Sprache unter Medizinern.

Wie kann es sein, dass die offizielle Lehrmeinung die Muttermilch als die perfekte Nahrung für den Säugling ansieht, jedoch den Vitamin-D-Gehalt als nicht ausreichend betrachtet? Wie ist so etwas möglich? Wie hat die Natur so etwas zulassen können? Und was haben die Menschen vor der Entdeckung des Vitamin D gemacht?

Die Antwort ist recht einfach: In der Medizin glaubt man mehr den eigenen Dogmen als der eigentlichen Wissenschaft. Und so wird immer wieder versucht, die offizielle Empfehlung von täglich 400 IE Vitamin D für einen Erwachsenen auf die Physiologie anzupassen, anstatt die Physiologie zu untersuchen, um eben den natürlichen Bedarf zu ermitteln. In diesem Licht erscheint es nicht verwunderlich, dass die heute so beliebte Empfehlung von 400-800 IE Vitamin D täglich auf einer SCHÄTZUNG (unglaublich!!) aus dem Jahre 1963 basiert 1. Zwar konnte man bereits damals auf rund 40 Jahre Vitamin-D-Forschung zurückblicken, aber seit dem ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen und der Wissensstand hat sich erheblich verändert. Ein hervorragendes Beispiel dafür, wie modern die moderne Medizin sein kann.

Ursprünglich dachte man aufgrund des vorgefundenen Vitamin-D-Sulfats, dass die Muttermilch jede Menge Vitamin D enthielte7. Und tatsächlich zeigten „überzeugende“ Untersuchungen eine Aktivität von rund 400 IE/Tag. Leider waren die Messungen fehlerhaft, und es gibt überhaupt kein Vitamin D-Sulfat in der Milch6. Genauere Messungen brachten Werte von rund 100 IE/l Vitamin D bei „normalen“ Stillenden ans Tageslicht. Durch Exposition zu UV-Strahlung und orale Gaben von Vitamin D konnte die antirachitische Aktivität der Muttermilch auf bis zu 8000 IE/l gesteigert werden 2,3. Das konnte jedoch nicht akzeptiert werden, denn die offizielle Meinung besagte, dass Dosen von mehr als 2000 IE toxisch seien. Als Folge dieser Inkohärenz zwischen dem Tatsächlichen und dem Gepredigten blieben die Forschungsergebnisse für mehr als 20 Jahre im Dornröschenschlaf. Erst im neuen Jahrtausend sollen neue Erkenntnisse über die Sicherheit der Vitamin-D-Gaben bis 4000 IE täglich einen neuen Anstoß für weitere Untersuchungen gegeben haben 8.

Was passiert denn genau mit dem Vitamin D in unserem Körper? Die Ausgangsverbindung Vitamin D3 stammt unter natürlichen Bedingungen zum größten Teil aus der Haut, wo sie nach UV-Bestrahlung synthetisiert wird. Die gebildete Menge kann bei jungen Menschen 10.000-20.000 IE täglich betragen 5. Dieses Vitamin D3 ist lose an ein Vitamin-D-bindendes Protein (DBP) gebunden und zirkuliert mit einer Halbwertszeit von ungefähr einem Tag im Blut. Ein Teil dieser ursprünglichen Verbindung wird zu 25(OH)D hydroxyliert, das als Folge stärker an das Protein DBP gebunden wird und eine Zirkulationshalbwertzeit von ca. 3 Wochen hat 4. Und das ist der Punkt, an dem man der Physiologie eine besondere Beachtung schenken sollte. Das 25(OH)D stellt die Hauptform des im Blut zirkulierenden Vitamin D dar und kann kaum in die Muttermilch transferiert werden, weil es fest an das Protein DBP gebunden ist. Die permanent gebildete Ausgangsverbindung mit der kurzen Halbwertszeit ist nur lose gebunden und geht viel leichter in die Muttermilch über. Wegen der sehr kurzen Halbwertszeit muss also die Vitamin-D-Aufnahme täglich erfolgen und viel größer sein als die empfohlenen 400 IE.

Eigentlich lässt sich die notwendige Menge an Vitamin D leicht berechnen – das Wissen ist vorhanden und muss nur verwendet werden: Um eine antirachitische Aktivität von ca. 100 IE pro 1 Liter Milch zu erhalten, müsste die Mutter rund 1000 IE täglich einnehmen. Daraus ergibt sich eine tägliche Dosis von zumindest 6000 IE, um das Kind mit 500 IE täglich zu versorgen. Alternative wäre ausreichend , für 15-30 Minuten Sonnenlicht zu „tanken“, was in unserem Kulturkreis nicht ganzjährig praktiziert werden kann.

Der Grund hierfür ist, dass wir rund 80 % unserer Tageszeit hinter UV-filterndem Glas verbringen, ob zu Hause, an der Arbeit oder im Auto. Und in der wenigen Freizeit trauen wir uns nicht unter die Sonne, denn wir werden ständig davor gewarnt, dass das Sonnenlicht schädlich und krebserzeugend sei. Die angeblich karzinogene Wirkung scheint sich aber nur auf den Menschen zu beschränken, die Tiere in der freien Wildbahn haben davon noch nichts mitbekommen und folgen nach wie vor ihrem natürlichen Verhalten mit einem nahezu selbstmörderischen Leichtsinn.

Um alle Zweifel zu zerstreuen, soll hier erwähnt werden, dass bei einer Untersuchung an stillenden Müttern mit täglichen Gaben an Vitamin D3 von 2000 IE und 6000 IE kein einziger Fall von unerwünschten Nebenwirkungen oder Toxizität aufgetreten ist. Und das bei einer 5-jährigen Laufzeit. Ein Detail ist jedoch wichtig und beachtenswert: Die Untersuchung der 2000-IE-Gruppe musste vorzeitig abgebrochen werden, um die Kinder nicht zu gefährden. Denn die Muttermilch enthielt nicht genug Vitamin D.

Fazit:

Unter natürlichen Bedingungen mit ausreichend Vitamin-D-Bildung durch Besonnung oder durch orale Gabe enthält die Muttermilch genug Vitamin D. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass erst ab einer täglichen Menge von rund 6000 IE Vitamin D3 täglich die Muttermilch eine ausreichend hohe antirachitische Aktivität aufweist. Diese Mengen rufen nachweislich bei gesunden Probanden keinerlei Schäden hervor.

Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass das Vitamin D sowohl für das Kind als auch für die werdende Mutter wichtig ist. Im Rahmen mehrerer Untersuchungen ist festgestellt worden, dass je mehr 25(OH)D sich im Serum der Frauen befand, umso weniger Komplikationen während der Schwangerschaft und der Entbindung auftraten10. Interessant ist eine Besonderheit, die nur während der Schwangerschaft auftritt und zu keinem anderen Zeitpunkt im Leben eines Menschen. Am Ende des ersten Trimesters findet eine Entkopplung des Vitamin-D- und Calcium-Stoffwechsels statt. Zu diesem Zeitpunkt ist der 1, 25(OH)2D-Spiegel mehr als doppelt so hoch verglichen mit Nicht-Schwangeren, ohne dass sich dadurch die Calciumkonzentration im Serum ändert6. Offensichtlich werden höhere Konzentrationen von Vitamin D in dieser Phase besonders benötigt, so dass „die Natur“ einen zusätzlichen Schutzmechanismus eingebaut hat.

Nicht zuletzt konnte bereits im Jahre 2001 in einer finnischen Studie an über 10.000 Säuglingen nachgewiesen werden, dass eine Gabe von 2.000 IE Vitamin D3 täglich (sic!) über das gesamte 1. Lebensjahr die Entwicklung eines Typ-I-Diabetes in den darauf folgenden 31 Jahren um 80% reduziert.11

 

Reference List

 1. Blumberg R, F. G. F. D. The prophylactic requirement and the toxicity of Vitamin D. 10-10-1963.
Ref Type: Generic

2. Greer, F. R., Hollis, B. W., Cripps, D. J. & Tsang, R. C. Effects of maternal ultraviolet B irradiation on vitamin D content of human milk. J. Pediatr.105, 431-433 (1984).

3. Greer, F. R., Hollis, B. W. & Napoli, J. L. High concentrations of vitamin D2 in human milk associated with pharmacologic doses of vitamin D2. J. Pediatr.105, 61-64 (1984).

4. Haddad, J. G., Matsuoka, L. Y., Hollis, B. W., Hu, Y. Z. & Wortsman, J. Human plasma transport of vitamin D after its endogenous synthesis. J. Clin. Invest91, 2552-2555 (1993).

5. Holick, M. F. McCollum Award Lecture, 1994: vitamin D--new horizons for the 21st century. Am. J. Clin. Nutr.60, 619-630 (1994).

6. Hollis, B. W., Johnson, D., Hulsey, T. C., Ebeling, M. & Wagner, C. L. Vitamin D supplementation during pregnancy: double-blind, randomized clinical trial of safety and effectiveness. J. Bone Miner. Res.26, 2341-2357 (2011).

7. Hollis, B. W., Roos, B. A., Draper, H. H. & Lambert, P. W. Occurrence of vitamin D sulfate in human milk whey. J. Nutr.111, 384-390 (1981).

8. Lakdawala, D. R. & Widdowson, E. M. Vitamin-D in human milk. Lancet1, 167-168 (1977).

9. Vieth, R., Chan, P. C. & MacFarlane, G. D. Efficacy and safety of vitamin D3 intake exceeding the lowest observed adverse effect level. Am. J. Clin. Nutr.73, 288-294 (2001).

10. Wagner, C. L. et al. Health characteristics and outcomes of two randomized vitamin D supplementation trials during pregnancy: a combined analysis. J. Steroid Biochem. Mol. Biol.136, 313-320 (2013).

11. Hypponen E et al. Intake of vitamin D and risk of type 1 diabetes: a birthcohort study. Lancet 2001;358:1500-1503.